Neues Buch zu E.-M. Arndt

Reinhard Bach als Autor von Frieden, Freiheit, Demokratie:

Mit einer neuen, quellenintensiven Recherche des deutsch- und französischsprachigen Materials gelingt es dem Autor, den demokratischen Geist von Ernst Moritz Arndt herauszuarbeiten.

Gerade die zahllosen Schriften von Arndt, sein Briefwechsel mit führenden Persönlichkeiten seiner Zeit, sein enges Verhältnis zu Freiherr vom Stein mit einer nachhaltigen Auswirkung auf den Verlauf der napoleonischen Kriege zeigen, wie wichtig dieser pommersch geprägte Mensch für die Zukunft Deutschlands war.

Bestellbar im Karl-Lappe-Verlage, Hansestadt Greifswald: „Ernst Moritz Arndt – Frieden Freiheit Demokratie – Stimme für ein neues Deutschland“ (ISBN 978-3-947371-25-9)

SPURENSUCHE EINER DEUTSCHEN IDENTITÄT

Anmerkungen zu „Ernst Moritz Arndt – Frieden, Freiheit, Demokratie“ (Sebastian Orlac, Berlin)

Ende des 19. Jahrhunderts erschienen die ersten Romane, die sich mit dem Phänomen der Zeitreise beschäftigten, der bekannteste unter ihnen wohl H.G.Wells time machine. Fasziniert von den neuen Forschungen zum Zeit-Raum-Kontinuum, die in Einsteins Relativitätstheorie mündeten, entstanden Texte, in denen Reisende sich nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit bewegen konnten. Dabei gibt es, wenn man so will, schon seit Beginn der Schrift und verstärkt seit dem 15. Jahrhundert, ein Hilfsmittel, mit dem wir die Zeit bereisen können: Bücher.

Nicht nur in dem wir uns schreibend in die Vergangenheit imaginieren können, sondern auch durch Bücher zu vergangenen Zeiten können wir zurückliegende Sehgewohnheiten, Sprache, Bräuche, ja bisweilen sogar Geschmäcker erfahren. Eine solche Zeit-Reise hat der Greifswalder Romanist Reinhard Bach mit den Texten Ernst Moritz Arndts unternommen und in minuziöser Kleinarbeit in ihrem Kontext studiert. Entstanden ist als Zeit-Reise-Bericht ein überraschendes Porträt des Pommerschen Dichters, das selbst wie eine Zeitmaschine funktioniert. Nun kann man einwenden, das jegliche historische Textarbeit ein genaues Quellenstudium voraussetzt. Doch es gibt, insbesondere in Bezug auf Ernst Moriz Arndt, noch eine ganz andere Art der historischen Herangehensweise.

Man kann kaum den Namen Arndt lesen, ohne das beigefügte Attribut „umstritten“ – „Nationalist“, „Franzosenhasser“, „Antisemit“ lauten weitere. Das sind fraglos schwerwiegende Anschuldigungen, zieht man den Verlauf der Geschichte, insbesondere der des 20. Jahrhunderts mit in Betracht. Doch genau hier unterscheidet sich die kontextbezogene Geschichtsbetrachtung von einer, sagen wir einmal, aktivistischen Sichtweise, die von den Erfahrungen der Gegenwart geprägt ist. Hier wird nicht in die Zeitmaschine gestiegen, sondern eher mit einem Fernglas vom heutigen Standpunkt aus betrachtet. Auch das hat seine Berechtigung. Doch wenn dadurch Arndt zum Urvater des Deutschen Nationalismus und Antisemitismus wird, handelt es sich schlicht um eine grobe Verzerrung.

Wie kann Arndt ein Nationalist sein, wenn es zu Lebzeiten noch gar keine Nation gab? Der sehr junge Begriff, entstanden während der Französischen Revolution, ließ sich noch in keiner Weise auf Deutschland anwenden. Auch wenn sich Arndt vereinzelt judenfeindlich geäußert hat, so hat er in seinen frühen Texten auch sehr deutlich gegen ihre Unterdrückung geschrieben. Ein Antisemit kann er allein schon deshalb nicht sein, da der Begriff erst Ende des 19.Jahrhunderts geprägt wurde. Und ja, Arndt hat sich Franzosenfeindlich geäußert, dies aber vor allem aus propagandistischen Gründen, wie wir noch erfahren werden. Frankreich ist mit Napoleon aber auch der Feind. Seine Truppen erobern raubschatzend Kleinstaat um Kleinstaat. Auch andere Dichter wenden sich in der Zeit gegen den Nachbarn.

„Schlangen sieht man gar nicht mehr/ Ottern und dergleichen / Und der Drachen Greuelheer/Mit geschwollnen Bäuchen/ Nur der Franzmann zeigt sich noch/ In dem deutschen Reiche/ Brüder, nehmt die Keule doch/ Daß er gleichfalls weiche. “

So schreibt ein Zeitgenosse 1807. Doch würde heute jemand auf die Idee kommen, sämtliche Heinrich-von-Kleist-Schulen deshalb umbenennen zu wollen??

Nach eigenen Aussagen ist Reinhard Bach selbst Opfer dieser Sichtweise geworden. Als er sich 2007 im Rahmen eines Kolloquiums der damaligen Ernst Moritz Arndt Universität mit den Schriften ihres Namensgebers beschäftigte – eingeschlossen in einem Giftschrank in der Universitätsbibliothek – las er in den Beständen vor allem in Sammelbänden, die in der Zeit des NS publiziert worden waren. Nach dieser Lektüre war Bach überzeugt, diese Universität darf keinen Tag länger den Namen Arndts tragen. Doch bald begreift der Romanist, dass er nur Zitaten aufgesessen ist, die aus dem Zusammenhang gerissen wurden. Es folgt eine intensive Beschäftigung mit dem Dichter, aus der Bach mit einer wesentlichen Erkenntnis hervorgeht: Ernst Moritz Arndt war ein überzeugter Demokrat, ein politischer Propagandist, der früh den Wert der öffentlichen Meinung begriffen hatte. Er setzte sich für Menschenrechte, Freiheit und gegen staatliche und feudale Unterdrückung ein und all das zu einen sehr hohen Preis.

In sein Porträt steigt Bach selbst mit einer kleinen Zeitreise ein. Er erzählt vom größten Wendepunkt in Arndts Leben als dieser 1819 im Zuge der sogenannten Demagogen-Verfolgung verhaftet, verhört, seines Amts als Professor enthoben wird und für die kommenden 20 Jahre weder publizieren und noch unterrichten darf. Wie konnte es so weit kommen, dass einer der meist gelesenen Autoren seiner Zeit in solch eine Verbannung geschickt wird?

In einer Zeitschleife springt Reinhard Bach zurück ins Jahr 1803 und erzählt von einem zweiten großen Wendepunkt, diesmal einem epochalem, europäischen. Im Zuge der Französischen Revolution ist die alte Ordnung ins Wanken geraten. Napoleon hat seine Koalitionskriege begonnen. In nur zwei Jahren wird er sich zum Kaiser krönen, in drei wird das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen nach 844 Jahren zerbrechen. Und was macht Arndt? Er sympathisiert mit den Ideen der Französischen Revolution. In Germanien und Europa wettert er gegen die Obrigkeit: „Ewig soll der Mensch, dessen Kräfte der Staat nicht alle binden darf, höher stehen als der Staat“ und mit dem Versuch der Geschichte der Leibeigenschaft in Pommern und auf Rügen wendet er sich vehement gegen jede Unterdrückung, angefangen bei denen der Slawen, aber auch die der Juden im Mittelalter. Seine Schrift führt letztendlich zur Aufhebung der Leibeigenschaft in Schwedisch-Pommern.

Doch die kommenden Jahre halten für Arndt im Zuge der Napoleonischen Kriege noch weitaus größere Aufgaben bereit. Eindringlich schildert Bach die Zumutungen durch das französische Heer. Auf Befehl Napoleons marschiert man ohne Vorräte und Zelte voran und durchkreuzt plündernd und brandschatzend die Länder Europas. Doch nicht nur das, sämtliche Einwohner der eroberten Länder werden verpflichtet mit der Grand Armée zu kämpfen. Arndts Wunsch nach einer deutschen Einheit mag auch hier ihren Ursprung haben. Deutsche sollen aufhören gegen Deutsche zu kämpfen. Aufmerksam geworden durch seine politischen Schriften verpflichtet Staatsminister Freiherr vom Stein Arndt zu seinem persönlichen Sekretär.

Im zweiten großen Teil des Buchs beschreibt Bach, wie vom Stein und Arndt ins russische Exil reisen, um von hier aus den Widerstand gegen die vorrückende napoleonische Armee zu organisieren. Der Romanist Bach hat für diesen Band umfassend die Briefe des Freiherren studiert, wie in dieser Zeit üblich, allesamt abgefasst in Französisch. Bach zeichnet ein genaues Bild vom politischen Einfluss, den Arndt gemeinsam mit Freiherr vom Stein in den Jahren 1812-1814 hatte. Ohne ihre Einflussnahme am russischen Hof wäre der Zar womöglich vor Napoleon eingeknickt, und Europa sähe heute ganz anders aus.

Arndts Russlandreise bringt ihn aber auch in die unmittelbare Nähe des Krieges. Reinhard Bach erzählt von einer Schlittenfahrt nach Königsberg, die Arndt gemeinsam mit Freiherr vom Stein unternahm. Bergeweise türmten sich die Leichen zu beiden Seiten, Lebewesen, wie Arndt schreibt, über deren Geburt sich einst die Eltern gefreut hatten. Wohl aus dieser Erfahrung heraus entsteht einer der für heute wohl prägendsten Texte des Dichters: Kurzer Katechismus für teuchtsche Soldaten. Hier wendet sich Arndt nicht nur gegen die stehenden Heere und Eroberungskriege. Er ermutigt jeden Soldaten, sich nur vor seinem Gewissen zu verantworten. Mit diesem Katechismus stellt sich Ernst Moritz Arndt deutlich in die aufklärerische Tradition von Kant und Rousseau. Er entwirft zudem eine Militärethik, die noch immer in Deutschland bindend ist: Der Staatsbürger in Uniform.

Der große Verdienst von Reinhard Bachs genauer Studie ist es, den politischen Arndt nicht nur wieder zu entdecken, sondern in gewisser Weise zu rehabilitieren. Denn mit der nächsten Zeitenwende, die Arndt erleben musste, der Restauration, wendete sich die Zeit und die öffentliche Meinung gegen ihn. Vom Unterstützer der Befreiungskriege wurde Arndt zum Demagogen und Deutschtümler „geframed“, wie wir heute sagen würden. Es ist eben jene Sichtweise auf Arndt, die Freiherr vom Steins Gegenspieler Fürst Metternich geprägt hat und der wir heute noch aufsitzen.

Wer in einer Zeitmaschine reist, das kennen wir aus der science fiction Literatur, ist angehalten, nichts in der Vergangenheit zu ändern, will man nicht riskieren, in eine veränderte Gegenwart zurückzureisen. Bei guten Büchern wie diesem ist jedoch nicht zu verhindern, dass man zumindest mit einem veränderten Blick auf die Gegenwart zurückkehrt. Die Bedeutung von Demokratie, von Menschenrechten, freier Meinungsäußerung und dem tiefen Verständnis für ein aufrechtes und mündiges Miteinander auf diesem Planeten kann dieser Tage nicht groß genug eingeschätzt werden. Arndt, das begreift man nach dieser Lektüre, war hier mit Wegbereiter. Und in Zeiten in denen die Demokratie von Kräften gefährdet wird, die ihrerseits Arndt für ihre Zwecke vereinnahmen, ist ein genaues Bild des Demokraten Ernst Moriz Arndt so wichtig. Das ist der große Verdienst dieses Buchs.

Sebastian Orlac ist Autor und Leiter der Literaturtage Rügen. Am 02.10.2025 führte er in der EMA Gesellschaft in Groß Schoritz ein Gespräch mit Reinhard Bach zu dessen Buch.